Vorsorgewerke: Welches ist die beste Reaktion auf die Turbulenzen an den Finanzmärkten?
Jean-Marc Wanner wirkte bis zur letzten Sitzung der beiden Stiftungsräte von FCT und FCT1e im September 2022 als unser Experte für berufliche Vorsorge. Der diplomierte Pensionsversicherungsexperte und Partner bei Aon Schweiz AG begleitete die Entwicklung der Gruppe FCT während mehrerer Jahre und kennt die DNA der beiden Stiftungen bestens. So konnte die Gruppe von seiner reichen Erfahrung und herausragenden Expertise profitieren. Mit Blick auf seine anstehende Pensionierung hat Jean-Marc Wanner die Fackel an Jean Netzer weitergereicht. Dieser unterstützt ihn bereits heute als Stiftungsexperte. Wir danken Jean-Marc Wanner sehr für die wertvollen Beratungsdienste und den unermüdlichen Einsatz für die beiden Stiftungen und ihre Versicherten. Gleichzeitig heissen wir Jean Netzer herzlich willkommen.
In Zeiten weltweit instabiler Finanzmärkte hat Jean-Marc Wanner sich zu einem Interview mit uns bereiterklärt. Er spricht über seine Zusammenarbeit mit der Gruppe FCT und erklärt, weshalb wir die Folgen des seit Jahresbeginn beobachteten signifikanten Einbruchs an den Märkten zuversichtlich angehen können.
Herr Wanner, verraten Sie uns, was Sie in all den Jahren als Experte für berufliche Vorsorge in der Zusammenarbeit mit der Gruppe FCT am meisten geschätzt haben?
Besonders interessant finde ich die relativ geringe Grösse der Führungsequipe. Diese begleitet die Entwicklung der Stiftungen seit vielen Jahren, arbeitet mit Überzeugung und grossem Einsatz und will das Beste für die Versicherten. Dieses Engagement jedes und jeder, welches auf Professionalität beruht und bei dem es nicht darum geht sich persönlich in den Mittelpunkt zu stellen, habe ich sehr geschätzt. Es ging stets darum, die beste Lösung zu finden. Dabei war man sich nicht zu schade, externen Rat einzuholen oder gewisse Dinge in Frage zu stellen. Bescheidenheit und Vertrauen in die kollektive Intelligenz dienten stets dem Bestreben, dass sich die Gruppe FCT gesund entwickelt und dass sie möglichst effizient und professionell funktioniert.
Wie sehen Sie die Gruppe FCT bezüglich der Governance und Organisation?
Ein grosser Vorteil Ihrer Gruppe liegt darin, dass sich die Stiftungen nicht allein auf den Stiftungsrat abstützen – obschon er selbstverständlich ihr oberstes Organ ist –, sondern auch auf einige externe Personen oder Organisationen. Da sind natürlich der Experte und die Revisionsstelle, darüber hinaus wurden aber auch die Verwaltung und die Vermögensverwaltung ausgelagert. Und mit dem Unternehmen FCT Services AG wurde eine Plattform für die Kontrolle und Überwachung geschaffen. Den paritätischen Vorsorgekommissionen steht zudem ein Key Account Manager zur Verfügung, der wiederum auf die Kenntnisse weiterer Anbieter zurückgreifen kann. Diesem stehen wiederum ausgewählte Dienstleister zur Wahl. Auf Ebene der Governance ergibt sich daraus eine gute Aufteilung der Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen. Ausserdem kann die interne Fachkompetenz durch ergänzende Kenntnisse ausgewählter externer Dienstleister erweitert werden.
Während Ihrer Laufbahn sind Sie Zeuge mehrerer Erschütterungen an den Finanzmärkten geworden. So auch heute: Nach den äusserst positiven Anlageentwicklungen im Jahr 2021 und der daraus resultierenden hervorragenden Gesundheit der Vorsorgewerke (mit tiefen technischen Zinssätzen und hohem Deckungsgrad), haben die Märkte begonnen, ins Minus abzurutschen. Wie reagieren Vorsorgewerke am besten auf solche periodischen Turbulenzen?
Ich bin der festen Überzeugung, dass hier Zuversicht die beste Therapie ist. Wie gross die Turbulenzen auch sind: Man sollte sich erinnern, dass die Finanzmärkte stets periodischen Krisen unterworfen sind. Eben deshalb - um auf diese Krisen vorbereitet zu sein - legen unsere Stiftungen spezifische Reserven und Rückstellungen an. Für eine gut geführte Stiftung mit angemessener Risikoverteilung bedeutet dies: durchhalten und warten. Man könnte nichts Dümmeres tun, als in kurzfristigen Aktivismus zu verfallen, indem man zum Beispiel die eigene Anlagestrategie grundlegend ändert. Auf diese Weise läge man mit Sicherheit falsch, und vor allem würde man riskieren, die Zukunft der Stiftung oder des Vorsorgewerks zu beeinträchtigen. Ein solches Verhalten konnte man vor einigen Jahren bei einer gewissen Anzahl von Versicherungsunternehmen beobachten. Sie verkauften im Zuge der Krise von 2008 alles, was ihnen in den Folgejahren gewichtige Schwierigkeiten brachte. Zahlreiche Vorsorgewerke hingegen, die in Unterdeckung geraten sind und deren Experte ich war, haben den eingeschlagenen Weg ohne ausserordentliche Beschlüsse zu treffen konsequent fortgesetzt und sind dabei geduldig und wachsam geblieben. Ich verstehe, dass sich Stiftungsräte und Vorsorgekommissionen in dieser Situation Sorgen machen. Ich als Experte hingegen bin nicht in Sorge. Und es ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass die Finanzmärkte bis zum Jahresende wieder zulegen und die Performance für das Jahr 2022 weniger schlecht als befürchtet ausfällt.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass zahlreiche Vorsorgewerke heute weniger hohe technische Zinssätze aufweisen, als diese gemäss Grundsatz der Richtlinie FRP 4 der Kammer der Pensionskassenexperten sein könnten. Wie sehen Sie das?
Ich würde sagen, dass ein technischer Zinssatz von 2 % heute machbar ist und man nicht der Versuchung nachgeben sollte, alle sechs Monate damit herumzuspielen. Diesen Satz habe ich den meisten Vorsorgewerken empfohlen, die ich als Experte betreute. Meine Deutschschweizer Kollegen und Kolleginnen sind da im Allgemeinen pessimistischer. Im neuen Inflationszyklus, in dem wir uns befinden, geht die Tendenz heute nun wirklich eher dahin, den Satz wieder anzuheben. Ich war schon immer der Meinung, dass man dies früher oder später machen muss, denn auf lange Sicht ist 2 % zu niedrig. Für mich ist übrigens nicht die Inflation an sich problematisch, sondern vielmehr der Umstand, dass wir gleichzeitig eine Inflation bei fast 0 % und noch tiefere, wenn nicht negative Zinssätze hatten. Daher denke ich, dass das Wiederaufkommen der Inflation für unsere Vorsorgewerke nicht so dramatisch ist, solange die Zinssätze proportional dazu steigen und die Löhne dieselbe Tendenz verfolgen. Auch hier empfehle ich, nicht übereilt zu handeln.
Ende 2021 hatten sämtliche Vorsorgewerke der FCT einen Deckungsgrad von über 100 %. Mit dem Rückgang der Märkte 2022 ist nun absehbar, dass einige in Unterdeckung geraten werden. Wie steht es dann mit Sanierungsmassnahmen?
Einige Quellen gehen davon aus, dass etwa 50 % der Vorsorgewerke in Unterdeckung sind oder sein werden. Ich denke gleichwohl, dass man nicht in Panik verfallen sollte, denn die Unterdeckung ist Teil des Lebens einer Stiftung oder Pensionskasse. Übrigens ist die Unterdeckung ja auch gesetzlich zulässig. Das Gesetz räumt eine Frist von 5 bis 7 Jahren und maximal 10 Jahren ein, um zum Normalzustand zurückzukehren. Für die grosse Mehrheit der Kassen in Unterdeckung besteht die wirksamste Sanierungsmassnahme darin, auf eine Verzinsung der Sparkonten der Versicherten zu verzichten. Ich denke, diese Massnahme ist der Einführung eines Sanierungsbeitrags, der ja kaum etwas bringt, vorzuziehen. Man sollte nicht vergessen, dass das Sparkonto bei den meisten Versicherten weit höher ist als ihr Lohn. Da bringt ein Zinssatz von 1 % auf ihrem Ersparten weit mehr als ein Zusatzbeitrag von 1 % auf ihrem Lohn.
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Die hier behandelten Themen stehen selbstredend auf der Tagesordnung der kommenden Jahressitzung der Vorsorgekommissionen der angeschlossenen Vorsorgewerke.