Was hält Nationalrat Guy Parmelin von der «Altersvorsorge 2020»?

Guy Parmelin ist nicht nur Nationalrat und Präsident der Kommissionen für soziale Sicherheit und Gesundheit, sondern auch Bauer und Miteigentümer eines 38 Hektaren grossen Land- und Rebguts. Daher ist seine Meinung zur Reform der Altersvorsorge 2020 von besonderem Interesse.

Ist die 2008 von Nationalrat Jürg Stahl eingereichte gleichnamige Motion Stahl ein Teilaspekt der «Altersvorsorge 2020»? Worum geht es und wie sind die Reaktionen?

Es handelt sich um zwei gesetzliche Anpassungen im Bereich der beruflichen Vorsorge. Die erste Änderung betrifft Personen, welche als Versicherte von im überobligatorischen Bereich aktiven Vorsorgeeinrichtungen ihre Anlagestrategie frei wählen können. Die Motion will, dass die Versicherten Verantwortung übernehmen und die heute gesetzlich garantierte Verpflichtung der Vorsorgewerke zur Gewährung der Mindestaustrittsleistung entfällt. Die zweite Anpassung sieht vor, dass die Inkassohilfe rechtzeitig auf das Vorsorgekapital zurückgreifen kann, wenn sich Personen mit Unterstützungspflicht ihr Vorsorgeguthaben auszahlen lassen.

Bei beiden Vernehmlassungen stehen die Teilnehmenden den Vorschlägen mehrheitlich positiv gegenüber, allerdings mit gewissen Vorbehalten und Anpassungswünschen. Hat der Bundesrat diese berücksichtigt? Die Botschaft zur Motion wird voraussichtlich Ende Januar vor das Parlament kommen. Das Projekt wird denn auch unabhängig von der Altersvorsorge 2020 behandelt. Nachdem die Motion keine Einstimmigkeit erzielt hat, sind durchaus noch Änderungsvorschläge und Anpassungen denkbar.

Die Altersvorsorge 2020 wiederum wird zuerst im Ständerat beraten, wo bereits zahlreiche Anhörungen durchgeführt worden sind.

Birgt das Reformprojekt auch abgesehen von der Motion Stahl kritische Punkte, die Widerstand wecken?

Zweifellos. Zum Beispiel die Anhebung des Frauen-Rentenalters von 64 auf 65 Jahre, wo kaum Einigkeit besteht. Auch die Witwenrenten sind ein solcher Knackpunkt. Kinderlose Witwen müssten Leistungseinbussen hinnehmen. Witwen mit Kindern hingegen könnten auf Waisenrenten zählen und die Einbussen so wettmachen. Nachdem diese Punkte bereits die vorgängige Revision zu Fall gebracht haben, wäre es aus meiner Sicht weise, man würde die Vorschläge zurückziehen. Auch die Selbständigerwerbenden ziehen den Kürzeren im Projekt, wird ihr Beitragssatz doch auf das Niveau der Lohnempfänger angehoben, obwohl die Freischaffenden ihre Vorsorge im Gegensatz zu den Angestellten vollumfänglich selber finanzieren. Zahlreiche Freischaffende zahlen nicht in die 2. Säule ein, sie investieren lieber in ihr Unternehmen. Im Alter von 50/55 Jahren, wenn es dann langsam um die Nachfolge geht, planen nicht wenige Beitragseinkäufe ein, um ihre Altersvorsorge zu verbessern, und schliessen sich einer 2. Säule an. Derzeit sind solche Einkäufe zur Hälfte von der AHV-Pflicht befreit. Dieser Vorteil soll mit dem Projekt von Bundesrat Berset entfallen. Doch damit nicht genug. Mit ihrer Steuerlast tragen die Selbständigerwerbenden aktiv zur Sanierung der Pensionskassen der öffentlichen Hand bei, ohne jedoch in irgendeiner Form davon zu profitieren. Hinzu kommt, dass die Erhöhung der MWST um 1,5 % die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen schwer belastet. Wird das Projekt hier nicht nachgebessert, fürchte ich, dass es bei der Abstimmung durchfallen wird.

Denken Sie, die Zeichen zwischen der ersten und der zweiten Säule werden neu gesetzt?

Heute sind die beiden Säulen recht ausgeglichen. Bestimmte Kreise möchten, vor allem wegen ihrer nur teilweise kapitalistischen Natur, die AHV zulasten der 2. Säule stärken. Meiner Meinung nach ist es nicht vernünftig, auf diesem Niveau eingreifen zu wollen. Die OSZE führt unser System der Altersvorsorge ja auch regelmässig als beispielhaft vor.

Welchem Druck sind die Vorsorgestiftungen und die Stiftungsräte ausgesetzt?

Hierzulande üben die obersten Stiftungsorgane die Kontrolle über ihre Vorsorgestiftungen aus. Die (paritätischen) Räte setzen sich im Wesentlichen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zusammen, Fachexperten sind im Rat selten vertreten. Das Milizsystem überzeugt, weil es die Expertenkompetenz mit dem gesunden Menschenverstand der operativ Tätigen, die das Terrain kennen und nur wenig für Finanzmathematik übrig haben, kombiniert.

Die berufliche Vorsorge wird immer komplexer, was namentlich auf Arbeitnehmerseite manchen abschreckt, für den Stiftungsrat zu kandidieren. Schliesslich trägt man die Verantwortung für Kapitalien von mehreren Millionen.

Umso wichtiger wird eine adäquate Fortbildung, was auch dem Wunsch der Oberaufsichtskommission entspricht.

Ich frage mich, wohin das Phänomen der steigenden Komplexität noch führt. Ich optiere für eine praktische, so einfach wie möglich gehaltene Reglementierung, um gegen eine übertriebene Professionalisierung der Stiftungsräte anzugehen.

Auch der Umwandlungssatz wird diskutiert. Was ist Ihre Position?

Bundesrat Alain Berset will eine drastische Senkung des Umwandlungssatzes, und zwar von 6,8 % auf 6 %. Will man die Leistungen der sogenannten Übergangsgeneration nicht einschränken, so müssen Kompensationen gefunden werden. Die Idee, auf «Überschussfonds» zurückzugreifen, scheint sich durchzusetzen. Aber wie sollen wir die finanzieren? Den Unternehmen können wir mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit kaum eine weitere Last aufbürden.

Guy Parmelin

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